MEIN BAUCH IST EIN GRAB, MEINE BRUST EINE SCHAUFEL
Bei einem Lauschangriff auf ein italienisches Lokal zeichnen deutsche Ermittler zufällig die Taufe einer Mafia-Zelle im süddeutschen Singen auf.
Gespannt hören die Polizisten zu. Im Rahmen eines Lauschangriffs auf eine Kneipe im Süddeutschen Singen hören sie, wie eine männliche Person in ein Hinterzimmer tritt. Das Lokal mit dem Namen „Ricardo“ wird seit geraumer Zeit mit einer so genannten Raumüberwachung belauscht. Es soll aufgeklärt werden, ob hier illegale Deals laufen. Die italienische Polizei hatte im April 2009 ein Rechtshilfeersuchen nach Deutschland gesandt, mit der Bitte, eine bestimmte Person in der Region Bodensee zu überwachen. Die italienischen Kollegen hatten Erkenntnisse, dass diese Person als Mitglied einer Mafia-Organisation aus der Region Kalabrien in Baden-Württemberg tätig ist. Die Beamten hören nun mit, wie das Gemurmel im Hinterzimmer der Kneipe abbricht. Für rund fünfzehn Minuten herrscht gespannte Stille, nur unterbrochen von den gemurmelten Beschwörungen eines Mannes und den dumpfen Antworten von vier weiteren Italienern.
Zuerst die Begrüßung:
Der Gesprächsführer Salvatore F holt tief Luft und sagt: „Buon vespro!“
Die Gemeinschaft antwortet: „Buon vespro!“
Salvatore F: „Siete pronti? a battezzare questa località“ (Ist alles bereit, diesen Ort zu taufen?)
Die Gemeinschaft nickt: „Si!“
Salvatore F spricht nun die erste Formel:
io lo battezzo come lo hanno battezzato i nostri tre cavalieri di Spagna…i nostri tre cavalieri che dalla Spagna sono partiti, da Roma sono passati, per…e….a Roma so….no…a Napoli sono sbarcati e in Sicilia si sono fermati e in Calabria hanno formato se loro hanno battezzato con ferri e catene, con ferri e catene lo battezzo io, se loro hanno battezzato con carceri scuri e….e….con carceri scuri e carceri penali, con carceri scuri e carceri penali lo battezzo io, se loro hanno battezzato con rose e fiori, con rose e fiori la battezzo io e mi riserbo: …(inc)…specchi e spilli e località con parole di umiltà è battezzata questa località“
Ich taufe ihn wie unsere drei Ritter aus Spanien ihn getauft haben…unsere drei Ritter, die von Spanien aus aufgebrochen sind, an Rom vorbei, und in Rom…nein, in Neapel sind sie gelandet und haben auf Sizilien Halt gemacht und in Kalabrien. Wenn sie ihn mit Eisen und Ketten getauft haben, dann taufe ich ihn mit Eisen und Ketten. Sie haben ihn mit dunklen Verliesen und Strafgefängnissen getauft, also taufe ich ihn mit dunklen Verliesen und Strafgefängnissen. Wenn sie ihn mit Rosen und Blumen getauft haben, taufe ich ihn mit Rosen und Blumen und behalte mir vor: (unverständlich) Spiegel und Nadeln und Ort, mit Worten der Demut wird dieser Ort getauft.
Die Gemeinschaft murmelt Zustimmung.
Salvatore F. fährt in der Zeremonie fort. Ein zweites Mal begrüßt er die Anwesenden: „Buon vespro!“
Die Gemeinschaft antwortet: „Buon vespro!“
Salvatore F. fragt: „Siete pronti? a formare questa Società“ (Ist alles bereit, die Società zu bilden?)
Die Gemeinschaft murmelt Zustimmung.
Und Salvatore F. spricht nun die zweite Formel:
il mio…il mio…e….la mia pancia è una tomba, il mio petto è una palata, con parole di umiltà è formata la società!“
Mein Bauch ist ein Grab. Meine Brust ist eine Schaufel, mit Worten der Demut ist diese Società geformt.
Die geheime Gesellschaft ist gegründet. Danach geht es auf dem Abhörband ums Geschäft: Wer muss welche Beiträge zahlen, wer muss mit wem reden, wer trifft die Entscheidungen.
Die Beschwörungsformeln auf Band sollte es eigentlich gar nicht geben in Deutschland. Die Ermittler haben die Taufe einer Mafiazelle mitgeschnitten. Im Hinterzimmer einer Gaststätte in Singen. Es ist acht Uhr am Abend des 20. Dezember 2009. In der Kleinstadt Singen frieren die Menschen. Die Straße in der Nähe des Bahnhofes ist unscheinbar, die Kneipe belanglos.
Was als nach der Aufzeichnung der Mafiataufe passiert, erscheint kaum glaubhaft: Es passiert nichts. Der in die Ermittlungen involvierte Beamte Anton Hönig sagt: „In der Folge haben wir keinerlei Straftaten oder überhaupt ein strafbares Verhalten dieser Personen feststellen können.“ Das Verfahren wurde 2010 in Deutschland eingestellt. Ein Abhörprotokoll über die Taufe eines Mafialokales, die Einberufung einer Mafiazelle, sowie bekannte Mafia-Rituale bevor es ums Geschäft geht. Und nichts passiert. Die Italiener müssen die deutschen Staatsanwälte für verrückt gehalten haben.
Allerdings geben die Beamten aus Baden-Württemberg ihre Erkenntnisse an die italienischen Kollegen weiter. Und die bleiben am Ball. Im Frühjahr 2011 kommt der internationale Haftbefehl aus Italien: 41 Personen wurden festgenommen – 6 davon in Deutschland: darunter hochrangige Führer der süditalienischen ´Ndhrangheta. Die Operation „Crimine 2″ schlägt auf drei Kontinenten zu, um ein Mafia-Netzwerk zu zerschlagen. Den Führer der Bande nehmen Beamte des Bundeskriminalamtes in Frankfurt fest. Die anderen Männer haben ein unauffälliges Leben geführt und scheinbar legal in Fabriken und auf Baustellen gearbeitet. In Australien wird der ehemalige Bürgermeister und Ehrenbürger der Stadt Stirling bei Perth, Tony Vallelonga, festgenommen. Nach außen ehrbare Menschen, im Untergrund mit Kontakten bis in die Führungsebene der Mafia gehabt.
Es gibt viele Riten der Mafia, die von abtrünnigen Mitgliedern der Banden beschrieben werden. Das Ritzen in den Daumen etwa, das Tropfen von Blut auf ein Heiligenbild und das anschließende verbrennen des Bildes in der Hand des neuen Mafioso als Sinnbild der ewigen Treue zum Beispiel. Der Sinn dahinter: Du sollst brennen wie das Bild, wenn Du gegen Deine Kumpane aussagst.
Oder die belauschte Taufe eines Ortes, als Sinnbild der Verschwiegenheit einer Bande. Lange wurde bestritten, dass es diese Rituale in Deutschland gibt. Das Tonprotokoll aus Singen beweißt das Gegenteil.
David Schraven