ZUSAMMEN GEGEN DIE MAFIA
Initiativen fordern, den Kampf gegen die Mafia zu forcieren. Der Straftatbestand Mafiamitgliedschaft müsse eingeführt werden. Und endlich mehr illegales Geld abgeschöpft werden.
Der Kampf gegen die Mafia ist kompliziert. Deswegen geht das Landeskriminalamt Baden-Württemberg neue Wege, wie der Leiter der dortigen Inspektion Organisierte Kriminalität, Sigurd Jäger, sagt: „Wir sind auf die Unterstützung der italienischsprachigen Bevölkerung angewiesen“. Jägers Inspektion hat deswegen vor kurzem ein Hinweistelefon eingerichtet. Wer dort anruft, spricht mit einem italienischsprachigen Polizeibeamten, der erfahren ist in der Anti-Mafia-Arbeit. „Wir wollen aber nicht nur ein Telefon schalten“, sagt Jäger, „sondern das Thema in der Bevölkerung verbreiten ohne zu dramatisieren. Wir wollen eine Hilfe sein und keineswegs stigmatisieren.“
Im Herbst 2012 hat die Initiative „Kultur der Legalität“ in Köln drei Tage lang über die Machenschaften der Mafia aufgeklärt – fünf Jahre nach der tödlichen Fehde zwischen zwei ‘Ndrangheta-Clans in Duisburg als sechs Männer vor einem italienischen Restaurant erschossen wurden.
Noch immer die die kalabrische ‘Ndrangheta mit geschätzten 53 Milliarden Euro Umsatz eine der mächtigsten Mafia-Organisation. Die Zahl alleine zeigt die wirtschaftliche Macht, die diese kriminelle Organisation entfaltet hat: Sie könnte mit ihrem Umsatz ein erfolgreicher DAX-Konzern sein, so groß wie die Deutsche Post oder die Deutsche Telekom. Ihr Geld verdient sie allerdings nicht mit Paketen oder Telefongesprächen, sondern illegal, vor allem mit Kokain aus Südamerika und mit Geldwäsche.
Rüdiger Thust ist Vorsitzender des Bezirksverbandes Köln des Bundes Deutscher Kriminalbeamter und einer der Mitbegründer der Initiative „Kultur der Legalität“. Er will sich der Mafia als Gesellschaftsphänomen stellen: Thust widerspricht Befürchtungen, der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität würde den Eindruck erwecken, dass jeder Italiener ein Mafioso ist. „Wir haben das damals eindeutig verneint“ – es ist nicht mehr als ein stumpfes Vorurteil.
Thust und seine Mitstreiter wollten auf die schlummernde Gefahr der Mafia hinweisen und aufklären. Denn Schweigen ist eine der schärfsten Waffen der Mafia. Je weniger sie beachtet wird, desto ruhiger kann sie arbeiten und ihr illegal verdientes Geld reinwaschen: durch Investitionen in Immobilien, in Firmen in der Gastronomie, in der Exportbranche, im Textilhandel oder im Baugewerbe. Auch auf dem modernen Finanzmarkt soll die Mafia viel Geld bewegen. Die Morde in Duisburg waren ein Racheakt, den die ‘Ndrangheta später als Fehler bezeichnet haben soll, sagt ein Ermittler. Die öffentliche Aufmerksamkeit stört schließlich die Geschäfte.
Der Kriminalbeamte Thust beobachtet seit Jahren die Lageberichte des Bundeskriminalamtes zur organisierten Kriminalität. Früher stand darin, dass Deutschland für die Mafia ein Ruhe- und Rückzugsraum sei. Heute ist auch von einem Aktionsraum die Rede. „Die Situation hat sich damit eindeutig verschärft“, sagt Thust, auch wenn Ermittlungsdetails nicht veröffentlicht würden: „Wir dürfen aber nicht so naiv sein und glauben, wir hätten alles im Griff.“ Das größte Problem der Behörden im Kampf gegen die organisierte Kriminalität sei immer die Frage: „Wie kommen wir da rein? Es gibt da kein Anzeigeverhalten wie bei einem Raub.“ Thust fordert für die deutschen Behörden daher zwei juristische Mittel, die in Italien längst angewendet werden: einmal den Straftatbestand, Mitgliedschaft in einer Mafia-Organisation, einzuführen, und zweitens die Möglichkeit Mafia-Besitz zu beschlagnahmen. So würde man ihr erstens ihre Gewinne nehmen und könnte zweitens den Ursprung von Geldern genauer verfolgen. „Das ist der Türöffner“, sagt Thust. Bei der „Kultur der Legalität“ in Köln hat auch die Vorsitzende der EU-Anti-Mafia-Kommission, Sonia Alfano, gesprochen. Wenige Wochen später hat sie den Deutschen in einem Interview mit Spiegel online Unwissenheit vorgeworfen. Deutschland sei die zweite Heimat der ‘Ndrangheta. Alfanos Vater, ein Journalist, wurde Anfang der 1990er von der Mafia-Organisation Cosa Nostra ermordet. „Wir sind nicht unwissend in Deutschland und wir sind nicht unwissend in NRW. Wir wissen, dass es die ‘Ndrangheta in NRW gibt“, sagt Thomas Jungbluth, Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen. Er verstehe Aussagen wie die von Sonia Alfano so, „dass die Italiener uns warnen wollen: Wir müssen uns gesellschaftlich intensiver mit der Mafia beschäftigen.“ Zum Ende des Gesprächs möchte Jungbluth noch einen Satz loswerden: „Die meisten Italiener hier sind ganz seriöse, solide Staatsbürger – das zu sagen ist mir wichtig.“ Jäger, Thust und Jungbluth sind sich einig, dass die Mafia in Deutschland noch lange nicht so verwurzelt ist wie in Italien. Und um Schutzgelderpressungen gehe es ohnehin schon lange nur noch am Rande. „Wenn man über die Mafia spricht, dann denkt man an Filme wie ‘Der Pate’“, sagt der Baden-Württemberger Ermittler Sigurd Jäger. „Aber die Zeiten sind vorbei. Wir sprechen in Deutschland von einer bürgerlichen Mafia.“ In Italien bewegt sich die ‘Ndrangheta längst in den Eliten der Gesellschaft. Enge Beziehungen zu manchem Politiker sind belegt. „Wirtschaftliche Macht und organisierte Kriminalität sind nah beieinander“, sagt Rüdiger Thust und zitiert einen ehemaligen Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter: Eike Bleibtreu. Der hat einmal gesagt: „Korruption ist schlimmer als Mord: Mord tötet einen Menschen, Korruption tötet eine ganze Gesellschaft.“ Thust fürchtet sich davor, dass Politiker von der Mafia in Deutschland einmal ähnlich angegangen werden wie in Italien. Denn die organisierte Kriminalität strebe nie nur nach Gewinn, sondern immer auch nach politischem Einfluss. Sandro Mattioli lebt in Berlin und berichtet als Journalist und Buchautor über die Mafia. Er ist Vorsitzender des Vereins „Mafia? Nein danke!“, der 2007 nach den Morden von Duisburg in Berlin gegründet wurde und jedes Jahr im Herbst mit seiner Veranstaltungsreihe „Festa della Legalità“ über die Mafia informiert. Mattioli teilt die Befürchtung Thusts, dass die Mafia auch deutsche Politiker angehen könnte und sagt: „Das Wort Befürchtung ist eigentlich zu schwach, weil es in der Vergangenheit tatsächlich schon Kontakte zwischen Mafiaverdächtigen und hochrangigen Politikern gab.“ Auch Kronzeugen bestätigen Kontakte zu Politikern. „Mafia-Straftaten fallen in Deutschland oft nicht als Mafia-Straftaten auf“, sagt Mattioli. Dafür müssten bei Ermittlungen das Umfeld einer Tat und eines Täters eine wichtigere Rolle spielen. Und selbst wenn die Deutschen wissend seien, wie das Landeskriminalamt NRW glaubt, so fehlen ihnen doch die Werkzeuge, meint Mattioli: „Man müsste die Mafia-Zugehörigkeit angreifbar machen.“ Florian Bickmeyer